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Tischdekorationen aus Kot

27.06.2017 21:38

Wir leben in einer Zeit schneller Moden, wo jenes, was wir eben noch als en vogue schätzten, im nächsten Augenblick fade und abgeschmackt erscheint, und anderes, das zu goutieren uns einst undenklich schien, fürderhin unsere Zustimmung genießt.

So wird es den Leser nicht wundernehmen, dass auch der Schmuck unserer festlichen Tafel stetem Wandel unterliegt, und wo vor Zeiten noch das Blumenbouquet oder der Mettigel ein Fanal gehobener Tischkultur setzten, gilt es nun als Zierde gediegenen Ambientes und Inbegriff souveräner Stilsicherheit, ein formschönes Exkrement auf dem guten Tuch zu platzieren.

Die flexible Plastizität des Werkstoffes Kot prädestiniert ihn für kreative Experimente, die den Gestaltungswillen des Gastgebers in hellem Licht erstrahlen lassen.

Als avantgardistisches Tischaccessoire verleiht Kot den Nimbus erlesenen Geschmacks, kulminiert doch in ihm der beredte Ausdruck weltmännischer Nonchalance und zeremonieller Modernität.

„Entschuldigung, wenn ich mich hier einmische, aber: Was soll dieser Mist?“

Was für ein Mist denn, ich schreibe ein Sachbuch! Wer sind Sie überhaupt?

„Der Lektor. Und ich kann mich nicht erinnern, so was in Auftrag gegeben zu haben.“

Und ob Sie haben! Ich zeigte Ihnen meinen Fantasy-Roman „Kronkor, der Unglaubliche“ und Sie haben gesagt: „Das verkauft sich jetzt nicht, schreiben Sie was über Vampire oder BDSM.“ Wollte ich aber nicht, und dann haben Sie mir ein Sachbuch vorgeschlagen: Tischdekorationen aus Kot.

„Aus Kork, Sie Hirni, aus Kork! Tischdekorationen aus Kork!“

Ach so. Das ist aber jetzt blöd, wo die erste Seite schon rum ist. Ich kann ja nicht mittendrin das Thema wechseln, was wird der Leser denken?

„Noch ist es nicht zu spät!“

Aber wird er nicht das Buch weglegen und umtauschen wollen, weil er sich etwas ganz anderes erhofft hat?

„Das ist mir doch egal, was diese koprophilen Arschlöcher erwartet haben, ich will ein anständiges Buch!“

Ja, okay, dann wechsele ich also jetzt das Thema, gut?

„Nur zu!“

Kronkor setzte den Hörnerhelm auf, wischte Met aus seinem roten Rauschebart und stieß in Golmibol, die Fanfare des Sieges, welche wie Donnerhall über ganz Kremonien ertönte. Das hörte auch Busaria, seine fertile Gespielin, die …

„Och nööö, nicht diese Fantasy-Soße. Kork!“

Kork kann ich nicht.

„Was können Sie denn? Lyrik?“

Ich weiß nicht recht.

„Machen Sie mal!“

Ich möchte nun mitnichten
hier anfangen zu dichten,
nach Versmaß mich zu richten,
die Silbenzahl zu lichten,
ein passend’ Wort zu sichten,
nach Endreim es gewichten,
mich euch darauf erpichten
Buchlesern aller Schichten
zur Poesie verpflichten
und noch ein Vers mit Fichten.

„Ah … na gut, das lassen wir dann besser.“

Aber ich kann Konjunktiv! Soll ich mal?

„Konjunktiv ist doch kein Genre.“

Aber kann ich. Soll ich nicht doch mal?

„Nur, wenn Sie nicht an sich halten können.“

Bäte man mich um Verwendung des Konjunktivs, bärste ich gewiss vor Ehrgeiz, drösche hohle Phrasen und flöchte endlose Wortketten, da in mir die Begierde göre, dass man das Gesagte genösse und begeistert um Fassung ränge, bis ich lustvoll erschräke, weil Applaus erschölle. Lüde man mich fortzufahren ein, ersänne ich weitere Sentenzen, die wie Blumen auf meiner Zunge sprössen und wie Tau von meinen Lippen tröffen. Glömme noch immer Eifer in mir, hübe ich zu dichten an bis mein Redefluss überquölle und mich schließlich zum Schweigen bewöge.

„Ja, ganz nett, aber nichtssagend. Sind denn Sachtexte so gar nichts für Sie?“

Bin ich firm drin! Ich habe mal für eine Zeitschrift Produkttests geschrieben. Das ist natürlich ein Erfahrungsquell, aus dem ich schöpfen kann. Sollte ich die Quintessenz in einem Beitrag abhandeln, so schriebe ich:

Das Gehäuse ist äußerst formschön und von einer geometrischen Stringenz, die Bauhauseinflüsse nicht verleugnen kann, aber die aromatischen Obertöne kommen erst voll zur Geltung, wenn man einen Bissen im Munde zergehen lässt, wenngleich die letzten vierzig Seiten eher langweilig sind und sich mühsam einem vorhersehbaren Schluss entgegenquälen, doch die neckischen Applikationen am Revers entschädigen für den allzu dünnen Leinenstoff, schließlich kommt es im Endeffekt nur auf gute Verbrauchswerte und einen praxistauglichen Kofferraum an.

„Oha. Zumindest verstehe ich, warum Sie damit aufgehört haben.“

Die Zeitschrift ist halt pleite gegangen.

„Was Sie nicht sagen. Kinderbücher, wie ist es damit? Vielleicht können wir das Buch noch in diese Richtung lenken?“

Schöne Idee. Ich las früher gerne die Raupe Nimmersatt. Wenn ich Ihnen da mal was anbieten dürfte – aufgemerkt:

Einsam starb die alte Raupe,
alle Jugendfreunde fort.
Wenn sie nur nach oben schaute,
Schmetterlinge säh’ sie dort!

„Nein nein, ach was, da muss ein Raupenlehrling drin vorkommen, der mit zaubernden Freunden gegen die Macht des Bösen kämpft!“

Pah, ich lasse mir doch von Ihnen nicht meine Kindheitserinnerungen verderben! Dann kann ich auch gleich mit Kronkor von Kremonien fortfahren:

Mit rasender Berserkerwut schwang er seine dreihändige Axt über die Schar der Angreifer. Köpfe rollten wie Geröll den Abhang nieder. Busarias Busen bebte vor Bewunderung. Ihr knappes Fellkleid verhüllte kaum ihre alabasternen …

„Ja, danke, behalten Sie das doch bitte für sich.“

Spießer!

„Wie bitte?“

Ihnen ist ja nichts rechtzumachen, dabei bin ich zum Romanschreiben geboren, ein Mensch mit überragender Beobachtungsgabe! Nehmen Sie nur den Tag, als ich bei Ihnen im Büro war: Was mir gleich beim Reinkommen auffiel, war ein Schirmständer, dessen Schatten auf einen Wandteppich fiel, der ein unruhiges Rechteckmuster besaß, das mir schon einmal in einer kleinen Dresdener Pension begegnete, dort allerdings als Dessin auf einem Zahnputzbecher, neben dem ein Seifenstück drapiert war, das ich Jahre zuvor in einem Frankfurter Motel einmal für die Willkommensschokolade hielt und fast verschlungen hätte, wäre nicht im selben Augenblick das Zimmermädchen hereingekommen, um mir mitzuteilen, dass sie mich gerade mit einem Bastmattenverkäufer verwechselte, der in den Anfangsjahren ihres Berufslebens gerne einmal ein unverbindliches Schäferstündchen mit jenen Hotelangestellten, die weder in festen Händen noch einem amourösen Abenteuer abgeneigt waren, in allen Einzelheiten zu planen, nie aber umzusetzen pflegte.

„Ja, stimmt, genau so einen Schirmständer habe ich. Dann versuchen wir es halt doch mal mit einem Roman. Aber Kronkor bleibt in seiner Höhle!“

Es ist ein kalter Novembermorgen. Frühnebel umgibt den schlichten Betonbau des Fernsehstudios. Irgendwo in der Ferne bellt ein Hund.

Kaum erscheint das Gesicht des Prominenten auf dem Bildschirm, blendet der Sender nicht seinen Namen ein, sondern „Kronkor von Kremonien“, woraufhin der Bauchbindentexter entlassen wird, dem Suff anheimfällt und dreißig Jahre später in einer kleinen Pension in Montevideo tot aufgefunden wird, umringt von Käfern, die sich bereits an ihm schadlos gehalten haben, aber deren Trippeln auf dem Holzparkett so rhythmisch ist, dass der Gast im Zimmer darunter beschließt, seinen Job als Bürstenvertreter aufzugeben und Schlagzeuger zu werden, was ihm späten Ruhm beschert und die Liebe seiner Frau aufs Neue entfacht.

Na, wie war das?

„Kurz. Eher kurz. Wenngleich nicht gänzlich ohne Reiz. Aber zu wenig dem Augenblick verhaftet, man kann nicht so recht mitfühlen. Versuchen Sie es noch mal!“

Panisch schnappte er nach Luft, wild um sich schlagend ruderte er im Wasser umher – jeder Aufschrei nackter Angst füllte seine Lungen weiter mit dem tödlichen Nass: Er durfte jetzt nicht aufgeben!

Seine letzte Chance bestand darin, alle ihm verbliebene Kraft zusammenzunehmen und sich mit Gewalt emporzudrücken, sich mit letztem Schwung den Klauen des kalten Wassers zu entreißen und an die rettende Oberfläche zu gelangen.

Doch der Impuls an seine Muskeln war nur noch ein schwacher Schatten seines Überlebenswillens. Die unerbittliche Kälte des ersten Elementes ließ auch seine fast übermenschlichen Anstrengungen immer mehr in hilflose Zuckungen auslaufen.

Selbst ein letztes verzweifeltes Hinabschlagen seiner verkrampften Arme konnte ein weiteres Tiefersinken nicht verhindern, und so nahm er einen tiefen Schluck des flüssigen Todbringers und gab sich der lähmenden Dunkelheit hin, bis er regungslos auf den Boden sank.

Vor dem Becken riss derweil der Kontrolleur die Karten ab – die Vorstellung mit dem nächsten Ertrinkenden würde bald beginnen.

„Naja, da wünsche ich ich mir doch fast den guten alten Kronkor zurück. Ein bisschen vielschichtiger dürfte es schon sein.“

Kritisch besah er sich im Spiegel: War er auch wirklich glatt rasiert? Gleichsam einer Antwort harrend, füllte das monotone Brummen des Apparates noch immer den kahlen, weiß gefliesten Raum, bis völlige Stille Zufriedenheit signalisierte.

Heute war es so weit. Der große Moment war gekommen, alle Blicke würden auf ihn gerichtet sein, denn dies war sein Tag - seiner und Judys, der er von heute an so nah wie nie zuvor sein würde - vereint in alle Ewigkeit.

Sorgsam trennte er das Netzkabel vom Rasierer, bevor er ihn unter dem Wasserhahn auswusch. Alles hatte seine Zeit im Leben, jede Handlung ihren Ablauf. Hielt man die Reihenfolge nicht ein, konnte ein Unglück geschehen.

Gleich war es neun, dann würde Pater Thomson ihn abholen. Nervös nestelte er an seinem Kragen. Lange hatte er auf diesen Augenblick warten müssen, doch jetzt, wo er gekommen war, schien ihm die Zeit wie im Fluge vergangen.

Als sei es gestern gewesen, blieb ihm der Tag ihres Kennenlernens im Gedächtnis. Es war an einem Samstagmorgen im April, wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus Europa. Er saß auf einer Parkbank gegenüber der Stadtbibliothek und lauschte dem Konzert der Vogelstimmen, das nur gelegentlich vom Geschrei spielender Kinder übertönt wurde. Judy setzte sich zu ihm, kramte ein Buch aus ihrer Handtasche und fragte schüchtern lächelnd: „Das habe ich schon durch, wollen Sie das vielleicht zu Ende lesen?“ Er wollte, und nicht nur das.

Seine Schritte hallten durch den endlosen Flur. Er war aufgeregt wie vor einer wichtigen Prüfung, dabei würde er selbst kaum etwas sagen müssen, und doch würde er im Mittelpunkt stehen – er und Judy, seine über alles geliebte Judy.

Nervös fragte er den Priester nach der Uhrzeit. „Nur keine Sorge“, beruhigte der ihn, „man wird nicht ohne Sie anfangen.“ „Sind denn schon alle da? Auch Judys Verwandtschaft?“ „Natürlich. Ganz vorne in der ersten Reihe.“

Unsicher musterte er seinen Anzug. War er auch dem Anlass angemessen? Sollte er zu diesem einmaligen Ereignis nicht etwas Festlicheres tragen? „Sind Sie auch schon so nervös?“ fragte er den Priester. „Nein, heutzutage nicht mehr. Beim ersten Mal, da noch. Aber nun bin ich seit fast dreißig Jahren hier Pfarrer, da wird es einem zur Routine.“ „Nun ja, Sie werden es ja auch nie selbst erleben. Das ist schon etwas anderes.“

Die Tür am Ende des Ganges wurde von innen geöffnet. Er trat ein. Erwartungsvolle Gesichter blickten ihn an. Er setzte sich auf den Stuhl, ließ die Elektroden an seinen Schläfen befestigen und dachte an Judy, die er schon vorausgeschickt hatte, damit sie im Jenseits auf ihn warte.

„Wissen Sie was?“

Nein?

„Wenn ich es mir recht überlege: Schreiben Sie doch lieber das Buch mit den Tischdekorationen zu Ende.“

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